Das Leben geht weiter!

Die Zeit nach dem Krankenhaus, ein Rückblick.

Etwas über meine Gefühlslage

Die ersten Tage zu Hause waren ein wenig surreal. Es war schwer für mich zu begreifen, dass ich wieder ein neues Kapitel aufschlage. Ich saß quasi vor einem Buch mit leeren Seiten. Alles fühlte sich ungewohnt an, ich fremdelte. Ganz normal nach 4 Monaten Abwesenheit, speziell da es ja nicht einfach Abwesenheit, sondern Trauma mit anschließenden Therapien war.

In den ersten Tagen im Unfallkrankenhaus dauerte es eine ganze Weile bis ich begriff, „Das dauert lange bis ich wieder heile bin“. Es gab Momente der Hoffnung, Momente der Verzweiflung. Und Momente tiefer Scham. 6 Wochen nur auf dem Rücken liegen, bestenfalls mal an der Bettkante sitzen, das kostet Kraft. Um alles bitten zu müssen, kostet mehr Kraft. Die Pflegerinnen und Pfleger geben immer ihr Bestes. Sie kommen nicht zur Ruhe, die Patienten müssen manchmal warten. Manchmal ist es dann zu spät, und das Pflegepersonal hat noch mehr Arbeit. Niemand kann das in der Situation ändern, aber es war erniedrigend. Bis ich realisiert hatte, ich bin schwer verletzt und auf Hilfe angewiesen. Und die Welt ist wie sie ist. Also macht man unter sich, weil man nicht alleine aus dem Bett kommt. Punkt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich das mal erleben werde, aber jetzt weiß ich, wie das ist.

Im Unfallkrankenhaus galt es, mich zu operieren und zu stabilisieren. Das hat man sehr professionell erledigt und ich möchte mich bei allen Beteiligten und speziell dem Pflegepersonal auf der C101 im Klinikum Kassel bedanken. Hier passiert alles sehr schnell, für einen Multitrauma-Patienten wie mich zu schnell. Aber ich wusste, es war nicht böse gemeint, die Hubschrauber brachten ständig neue Patienten. Da ich durch die Verlegung in ein BG Krankenhaus länger als ursprünglich gedacht im Unfallkrankenhaus war, hatte ich 7 Zimmergenossen, die operiert oder beobachtet, und dann wieder entlassen wurden. Die Betten wurden nie kalt. Respekt für das Personal, die das so durchhalten und sich ständig auf neue Patienten und Situationen einstellen müssen. Für mich als Patient war das schwer zu verstehen, es hat lange gedauert.

In der komplexen stationären Reha (KSR) im Bergmannstrost geht es darum, den Patienten zurück ins normale Leben zu führen. Und was ist nach einem Unfall noch normal? Wenn Kollegen oder Freunde wissen möchten, wie es mir geht, bin ich immer dankbar, dass noch alles dran ist und sich alles noch bewegen lässt. Die Schmerzen spielen keine Rolle. Ich hatte Glück im Unglück. Das erlernen bekannter Dinge unter neuen Voraussetzungen ist fordernd. Es bleiben Behinderungen zurück. Neu einschätzen, wo ich „normal“gehen kann, und wo ich besonders aufpassen muss. Was ich vielleicht besser nicht mache. Viel Alltägliches muss neu bewertet werden.

Für die Ärzte und Therapeuten machte das keinen Unterschied, sie waren für alle da. Und das war für mich wichtig. Ich kam in meiner Situation an, weil es nicht nur darum ging stabilisiert zu werden, sondern ich wurde angeleitet. Ja, ich wollte auf jeden Fall wieder gesund werden, und zwar Pronto. Aber die Erfahrung der Ärzte und Therapeuten lenkte meine Energie in die richtige Richtung.

Dinge, die mich runterzogen

Die Bürokratie in unserem Land ist eine besondere Herausforderung. 2 Tage nach dem Unfall flattert die Rechnung für das RTW zu Hause rein. 3 Wochen später die Rechnung für den Helikopter, der den Arzt zum Unfallort brachte. Meine Motorradversicherung wiederum war total unkompliziert, sie schickte einen Gutachter, alles wurde betrachtet und der Schaden geregelt. Im Gegensatz dazu bedeutet ins Verletztengeld zu rutschen, Fragen von der Krankenversicherung zu beantworten, Fragebögen der Unfallversicherung , warten auf das Verletztengeld (der Gehaltsersatz nach 42 Tagen Krankheit). Zusehen, wie die finanziellen Reserven abschmelzen. Hilflosigkeit, weil man weit weg ist von zu Hause und sich allein fühlt. Dazu das Wissen, der Ehepartner daheim steht genauso alleine da, hat keine Vorstellung, wie das alles passieren konnte, wie die Geschichte weitergeht, was mit mir so alles passierte. Alles am laufen halten, alle informieren. Missverständnisse häufen sich, weil der jeweils andere in seiner Situation gefangen ist. 200km fahren und alles organisiert halten, den Verletzten im Rolli begleiten. Dafür danke ich Dir! So brutal es klingt, in der Situation war ich froh, dass es im Bergmannstrost geregelt ablief. Beständigkeit hilft zurück in eine Spur zu finden.

Die große Hilfe im Hintergrund

Die für mich zuständige BG möchte ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen. Meine Rehamanagerin hat mir sehr viel Unterstützung gegeben, mir viele Dinge abgenommen und unterstützt, wo sie konnte. Ganz herzlichen Dank dafür. Ich möchte mir gar nicht vorstellen an welchem Punkt der Heilung ich stünde, wenn dieser Unfall in meiner Freizeit passiert wäre. Berufsgenossenschaften sind wichtig, ihre Kliniken und ihre Leistungen sind nur 2 wichtige Säulen von vielen. Sicherheit kostet Geld. Ohne die BGs ginge es vielen noch schlechter, und die Gesellschaft hätte noch mehr zu tragen.

Der Blick auf Behinderte, Verstehen und Erleben kann Hardcore sein

Ich bin mit einer Schwester groß geworden, die quasi ihr Leben lang im Rollstuhl saß. Durch die Besuche im Internat habe ich viele weitere Behinderte kennengelernt, und dadurch war das immer Teil meines Lebens. Ich dachte, ich kenne mich da aus. Durch den Unfall war ich einige Wochen im Rollstuhl unterwegs. Der ganze Umstand den man betreiben muss, wie man sich anzieht, auf den Fahrstuhl warten, die Tür nicht einfach öffnen und schließen zu können. Aber was ich beim Einkaufen erleben durfte, war der Aha!-Moment schlechthin. Die einen machen einen Riesenbogen um Rollifahrer. Vielleicht ist das ja ansteckend, was der hat. Die anderen sind ohnehin nur physisch auf diesem Planeten, stolpern in den Rolli, oder bleiben mitten im gehen stehen, weil das Telefonat eine unerwartete Wendung nimmt. Umkleidekabinen die von „Normalos“ trotz Kennzeichnung benutzt werden, „weil sie so schön geräumig “ sind. Klar der Rolli braucht halt Platz. Zum Glück gibt es noch eine nennenswerte Zahl Menschen, die auch mal eine Tür aufhalten.

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus

Was ich nie geglaubt hätte, passierte nachdem ich ca. eine Woche wieder zu Hause war. Neugierde trieb mich in den Schuppen, ich hatte das zerstörte Motorrad ja noch nicht gesehen, nur ein Foto. Mein „Minchen“ lag in Trümmern vor mir. Ich schaute mir die Einzelteile an, dachte „das Motorrad hat mehr abbekommen als ich“. Und dann sah ich Blut an den Trümmern. Es brach aus mir heraus, Bilder im Kopf, wie ich mich überschlage, wie ich im Feld gefunden werde. Auch ein Gedanke an das Reh, welches keine Chance hatte. Die Zeit der Ungewissheit, die lange Zeit im Krankenhaus, alles hat mich auf einmal eingeholt. Ich hab geheult wie ein Schlosshund! Es war wohl an der Zeit, das mal rauszulassen.

Nun galt es, einen Durchgangsarzt vor Ort zu finden. Mein Fazit: Wir haben kein Gesundheitssystem, wir haben eine Krankenverwaltung. Man rennt von Pontius zu Pilatus um einen Termin zu bekommen. Da habe ich gelernt, dass es alles anders kommt, als man denkt. Ich lernte den Begriff „Multitrauma-Patient“ und seine Bedeutung kennen. Nicht nur, dass es wenige D-Ärzte gibt, nein, längst nicht alle können bzw. dürfen auch gar nicht Patienten mit mehreren schweren Verletzungen behandeln. Mit viel Telefonaten und einer Portion Beharrlichkeit bekam ich einen Termin. Am 8. Jan 2025! Über 4 Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. Mein Termin am 4. Dezember, den ich vor der Entlassung bereits aus dem Krankenhaus vereinbart hatte, stellte sich wegen des Multitraumas als nutzlos raus. Glücklicherweise hatte ich eine Verordnung für ambulante Reha vom Krankenhaus bekommen. So konnte ich wenigstens Therapie bekommen. In Göttingen. Jeden Tag zur Behandlung rund eine Stunde Autofahrt. Aber die Therapie half.

Das neue Jahr begann. Und das Terminchaos blieb. Termine wurden gelöscht oder verschoben. Endlich zum D-Arzt, trotz Termin über 4 Stunden Wartezeit in der Notaufnahme im Krankenhaus. Bilder einlesen, OP-Berichte verstehen, sich kennenlernen. Der Arzt hat sehr viel für mich getan, und dafür danke ich von Herzen. Er hat die Situation genau betrachtet, eingeschätzt, und seine Prognose traf dann auch ein. Die Nebengeräusche will ich hier nur am Rande erwähnen, ich musste die Therapie unterbrechen, weil ich nochmal operiert wurde. Der Unfall hatte ein altes Problem ans Licht gebracht, das musste jetzt behoben werden. Ich habe das Rehazentrum gewechselt, weil es auf die Wiedereingliederung in den Beruf zuging, 70km vom vorigen Therapieort entfernt. Im Übergang habe ich an manchen Tagen über 2 Stunden im Auto gesessen um an den verschiedenen Orten Termine wahrzunehmen. Ich habe mich gefragt, was das alles soll. Sowas lähmt den Heilungsprozess.

Der Weg zurück in das Berufsleben

Der D-Arzt sagte bereits Anfang Januar, dass gegen Mitte Februar die Wiedereingliederung möglich wäre, und am 24. Februar war es dann so weit. Zunächst 4 Stunden täglich, nach 2 Wochen dann 6 Stunden täglich. Es klappte. Am 24. März, fast 8 Monate nach dem Unfall galt ich wieder als Arbeitsfähig. Da ich einen guten Job habe, der mir flexible Einsatzmöglichkeiten bietet, kann ich normal in meinem Job arbeiten. Das hilft!

Meine Belohnung an mich

Ja, ich habe es wahr gemacht. Am 5. April habe ich mir wieder ein Motorrad gekauft. Vadder sagte immer, „wer feiern kann, kann auch arbeiten“, ich sage, „wenn ich schon arbeiten kann, darf ich auch feiern“. Eine Triumph Tiger Sport 660 ist es geworden. Blau. Bei der Probefahrt war alles vergessen, es fühlte sich an, als wäre ich nie vom Motorrad weg gewesen.

Was das Ganze mit mir gemacht hat

Aus meiner Sicht geradezu folgerichtig hat sich meine Sichtweise auf das Leben verändert.

Ich bin dankbarer und positiver geworden, habe aber auch gelernt öfter mal „Nein!“ zu sagen, mehr an mich zu denken. Es gab genug Momente wo ich alles hinschmeißen wollte, aber ich bin eben nicht im Telespiel. Ich habe nur dieses eine Leben und mache das Beste daraus. Der Moment zählt mehr.

Ich habe viel dazugelernt, über mich, meine Ängste und meine Freuden. Neben all den Herausforderungen durch den Unfall hatte ich immer kompetente Ärzte, die mir halfen und mir die richtigen Therapien verordneten. Ich hatte Pflegerinnen und Pfleger, die immer ihr Bestes gaben, auch bzw. gerade, wenn ich überfordert war mit der Situation und barsch reagierte. Danke für Eure tolle Arbeit und Euer Verständnis!

Ich bin bewusster geworden. Langsamer wäre zu krass ausgedrückt. Ich habe verstanden, dass Dinge Zeit brauchen. Ich fahre anders Auto und Motorrad. Aufmerksamer, Energieeffizienter. Ich verstehe „zulässige Höchstgeschwindigkeit“ als ein Limit, nicht als Vorgabe.

Vor allem weiß ich die Momente mit und unter Freunden zu schätzen. Egal ob wir uns treffen können oder nicht. Ich bin froh Euch zu haben! Danke!

Seid froh, wenn Ihr sowas nie durchmachen müsst. Und ich weiß, es geht noch schlimmer. Versucht bitte niemals mit Waschzettelphilosophie einem Menschen zu helfen, der durch eine solche Situation gegangen ist. Ihr meint es gut, aber schluckt es runter. Gebt zu, Ihr versteht es nicht. Denn es ist so vielschichtig, man muss es erlebt haben, um zu verstehen.

Schmerzen, Hilflosigkeit. Unverständnis der eigenen Situation. Das Wechselbad der Gefühle, von Freude bis zur Depression. Nächte in Krankenhäusern. Schnarchende Zimmernachbarn (ich bin einer davon). Schmerzensschreie von der Schmerzstation. Hilferufe verwirrter Personen. Vor Wut schreiende Patienten. Desorientierte Menschen, die nicht verstehen, wo sie sind, oder warum sie dort sind. Sterbende Menschen. Unfallszenarien, die einen fassungslos zurücklassen.

Es ist so viel, und es stehen immer Schicksale dahinter. Menschen in besonderen Situationen. Es gibt so vieles auf der Welt, was wir uns nicht vorstellen oder verstehen können.

Ich bin dankbar für diese Erfahrung. Weil ich dadurch viele nette Menschen kennengelernt habe. Patienten, Ärzte, Therapeuten, Pflegerinnen und Pfleger, die Menschen im Hintergrund, die Essen bringen, andere, die es zubereiten, die Reinigungskräfte, die Instandsetzer im Krankenhaus. Ein neues Universum habe ich kennengelernt. Und vor allem mich selbst habe ich besser kennengelernt.

Nichts ist nur gut oder nur schlecht. Ich hatte viel Zeit, um mal ausgiebig hinzuschauen…