… und veränderte mein Leben.
Mein Credo: „Es passiert immer den Anderen! Bis man einer von den Anderen ist…“
Das Ende meiner geliebten Sprint ST 1050
31.07.2024
Ein ereignisreicher Arbeitstag ging zu Ende. Ich war erst zum Ende des Gleitzeitfensters am Arbeitsplatz erschienen, also war ich bis ca. 18:30 Uhr im Büro. Ab in die Umkleide, Motorradsachen anziehen. Es war schönes Wetter, ich konnte entspannt nach Hause fahren. Kurz noch auftanken und weiter nach Hause. Die Strecke kenne ich in- und auswendig. Meine Lieblingskurven kamen, und nach dem ich die erste durchfuhr, sah ich einen PKW mit sehr wenig Geschwindigkeit in den kommenden Kurven. Also Tempo raus, langsam an den PKW ran, der Fahrzeugführer war wohl mit was anderem beschäftigt. Er beschleunigte zwar, aber fuhr ungleichmäßig weiter, mal 70, mal 50, dann wieder 60. Es folgte eine lange Gerade Bergauf. Ich wartete, bis wir den Abzweig nach rechts hinter uns gelassen hatten, die Straße war frei, Blinker links, ein Dreh am Gasgriff, und schon war ich vorbei. Das Getreidefeld rechts reichte bis kurz vor die Straße.
Blick in den Rückspiegel, Tempocheck, alles gut, im Hochschauen von den Instrumenten tut es einen Schlag, und ich denke „Scheiße, was war das??“. Ich fliege kurz, das Motorrad ist weg. Ich rolle über die Straße, setze mehrfach auf, u. a. einmal mit dem Gesicht voran. Dann lag ich im Getreide auf einem Acker. Schmerzen kündigten sich an. Den Helm ab, erstmal 112 wählen. Natürlich war das Handy mit dem Helm verbunden, aber ich konnte mich verständlich machen. Glaube ich. Das überholte Fahrzeug hat sicherlich ebenfalls sofort den Notruf abgesetzt.
Es dauerte nicht lange, da kam jemand durch das Getreide und rief: „Hier liegt er, ich habe ihn gefunden!“. Die Frau fragte, ob ich wüsste was passiert sei, und ich sagte Namen und Adresse, sowie dass ich einen Motorradunfall hatte. Ich sprach von einer gefühlten Kollision, und sie bestätigte, ein Reh wäre beteiligt gewesen. Ich sagte, ich würde ihr gleich zur Straße folgen. Sie sagte nur, sie glaubt das nicht, weil mein Fuß unnatürlich zum Bein lag. Und dass sie mir die Kleidung vom Leib schneiden müsste, um keine Verletzungen zu übersehen und mir keine Schmerzen zuzufügen. Im Laufe des Vorgangs trat ich weg, erinnere mich nur, dass ich für den Transport in einer Art Matratze angehoben wurde, und das schmerzte kurz.
Rückblickend kann ich nur sagen, dass ich nicht weiß, wie lange ich im Feld gelegen habe, wie lange man brauchte, um mich transportfähig zu bekommen. Ich nehme an, den größten Teil der Prozedur war ich weggetreten.
Einschub Anfang November 2024:
3 Monate später liege ich noch im Krankenhaus. Ich weiß nicht, wen ich überholt habe, und möchte mich bedanken, dass der/diejenige sofort den Notruf getätigt hat. Ich möchte mich für den Schock entschuldigen, den ich Ihnen verpasst habe, aber es dürfte selbstverständlich sein, dass ich das nicht absichtlich tat.
Die Retter von der ASB-Station Immenhausen waren sehr schnell vor Ort. Danke an die Ersthelferin, die mit ruhiger Stimme sprach und mich damit beruhigte. Auch wenn ich so voller Adrenalin war, dass ich glaubte, das vermutlich zerstörte Motorrad sei mein größtes Problem.
Danke an alle, die mir professionell Hilfe am Unfallort geleistet haben.
Großes Danke an Angela und Ulla, die so schnell die Trümmer einsammelten und alles nach Hause abtransportieren.
Danke an die Polizei für die schnelle Koordination und die Regelung des Verkehrs, sowie die Bereitstellung der Dokumentation.
Danke an das Klinikum Kassel, an alle Operateure, die mich so operiert haben, dass vermutlich nur minimale Einschränkungen zurückbleiben. Speziell Dr. von Ditfurth, der das ziemlich zerstörte Sprunggelenk so toll wieder zusammengefügt hat.
Danke an die Horden von Schutzengeln, die mich beim Crash begleitet haben. Keine Hindernisse in der Flugbahn, kein Verkehrsschild, kein Markierungsstein, keine Leitplanke waren auf meinem Weg ins Feld. Gemessen an dem Crash und der Beschleunigung, die mein Körper erfahren hat, bin ich echt sehr gut weggekommen.
Der größte Dank gilt dem BG Klinikum Bergmannstrost in Halle/Saale, für die Begleitung und Koordination der Therapie zur Heilung meines Körpers.
Ich hatte Glück im Unglück, dass es auf dem Heimweg von der Arbeit passierte. Damit war es ein Wegeunfall. Denn als ich mit den vielen Brüchen in der Unfallklinik ausoperiert war, gehörte ich dort nicht mehr hin. Die Berufsgenossenschaft verlegte mich ins Bergmannstrost, wo ich in einer komplexen stationären Rehamaßnahme untergebracht werden konnte. Hier wurde jede Baustelle im Körper angegangen. Eingeladen für zunächst 4 Wochen, sollte ich 3 Monate dort verbringen.
Nicht vergessen möchte ich an dieser Stelle Angela, die mich in dieser Zeit nach Kräften unterstützt und begleitet hat, die Wege nach Halle auf sich nahm, mit Versicherungen und Berufsgenossenschaft sprach und die Dinge zu Hause am Laufen hielt. Das war großer Einsatz.
Meine Geschwister haben durch Nachfragen und Besuche immer Kontakt zu mir gehalten.
Es war berührend zu erfahren, dass Airbus Helicopters eine Familie ist, die Kollegen besorgt nach dem Zustand fragen, und Nachrichten und gute Wünsche übermitteln. Das hat sehr motiviert und zur Heilung beigetragen. Dass meine Abteilungskollegen und mein Chef mich in Kassel, bzw. sogar in Halle besucht haben, war schon ein rührender Moment und ein besonderer Schub.
Und dann sind da die Triumph-Fahrer mit den guten Wünschen und Videos, die immer wieder kamen. Vielen Dank!
Besonders meine Freunde aus ganz weit weg, und die aus der Vergangenheit, die mir mit besonderen Worten und Gesten auch zur Seite standen, wenn es mir nicht so gut ging. Ganz selbstlos auch mal die anstrengenden Seiten eines Unfallopfers ertragen haben. Euch habe ich noch tiefer in mein Herz geschlossen.
Der Unfall im Rückblick, rekonstruiert u. a. mit den Angaben des Sachverständigen:
Das Reh ist mir in die Seite gesprungen, ca. auf Höhe desVorderrades, und wurde von der Verkleidung und dem Rahmen um den Motor getroffen. Es hatte keine Chance. Sorry Bambi, ich habe Dich nicht kommen sehen. Zu hoch stand das Getreide, und der Acker geht bis an die Straße. Durch den seitlichen Treffer ist das Motorrad wohl noch etwas weiter unterwegs gewesen, und ich bin nicht im hohen Bogen, sondern eher flach vom Motorrad geflogen. Es ging alles rasend schnell, und schlussendlich spielt es auch keine Rolle, Bambi und ich haben uns nicht gesehen. Meine Schutzkleidung hat einiges der Energie absorbiert, und zum Glück hatte ich den Helm knapp 3 Monate vorher ersetzt, nachdem der alte Helm von der Sitzbank auf eine Betonplatte gefallen war. Der große Rückenprotektor in der Jacke hat die Schäden am Rücken erträglich gehalten. Natürlich ist das auch viel Mutmaßung, aber die Rippen waren außen, nicht nah an der Wirbelsäule gebrochen.
Die Schäden
Sprint: Totalschaden, u. a. Riss am Rahmen, Verkleidung zerstört, Instrumente abgerissen, Telegabel geknickt, Felge hinten stark verformt.
Mein Körper: Innenknöchel links gebrochen, Zeigefinger, Mittelhandknochen und Daumen links gebrochen, Schulterblatt rechts gebrochen, 3. bis 7. Rippe gebrochen, sowie Sprunggelenk rechts ausgekugelt und mehrfach gebrochen.
Ich war zwischendurch ein Pflegefall, konnte nicht laufen und mir nicht mal das Gesäß abwischen. Die Entlassung aus dem Krankenhaus ist für den 3.12. geplant, 4 Monate nach dem Unfall. Dann weiß ich auch, ob die Hand links voll wiederhergestellt ist/wird, und ob das Sprunggelenk wieder voll beweglich ist/wird. Die Chancen stehen gut.
Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle an den Balance-Gesundheitspark in Hann. Münden. Durch die vielen Möglichkeiten des personalisierten Trainings, welches auch auf Ergebnisse von Vermessungen des Körpers angepasst wurde, war ich zum Unfallzeitpunkt in guter körperlicher Verfassung. Die dadurch vorhandenen Muskeln halfen mir in den ersten paar Tagen den Körper z. B. zum Essen aufzurichten, und die gebrochenen Arme und Beine weitestgehend lastfrei zu halten. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, die Bewegungen sauber und gezielt durchzuführen. Das ist ein wichtiger Bestandteil in den Therapien hier. Ich freue mich darauf, das Training mit Euch wieder langsam aufnehmen zu können.
Die Zeit im Bergmannstrost:
Ganz großes Kino! Das Behandlungsspektrum, was hier möglich ist, verkürzt die Zeit zur Wiederherstellung enorm! Alle Ärzte und Therapeuten sind ansprechbar und offen. Die geradezu familiäre Atmosphöre, die auch durch die lange Liegezeit entsteht, hilft enorm die Verletzungen zu ertragen und daran zu arbeiten.
Auch viele Patienten die ich kennenlernte, trugen auf ihre Weise zum Wohlfühlen bei. Wir haben uns ausgetauscht, uns manchmal den Frust von der Seele geredet, manchmal nur gequatscht, aber viel gelacht. Das war oft sehr hilfreich. Jeder hat seine Geschichte und jeder hört zu. Man macht Erfahrungen mit Therapien, gibt sie weiter, regt andere an und wird angeregt. Wir haben uns gut verstanden, wussten, wenn jemand Zuspruch brauchte, und haben uns über Zuspruch gefreut. So lange im Krankenhaus (und meine 4 Monate sind in diesem Zusammenhang nicht viel) schafft ein besonderes Verständnis füreinander. Dafür danke ich Euch allen, die dabei waren!
Auf ca. 200m Gebäudekeller verteilt Schwimmen, Sport, Ergotherapie, Physiotherapie, Massage/Krankengymnastik/Elektroschiene für Sprunggelenk und Arm. Und auch die Gespräche mit einer Psychologin waren Teil meines Lebens. Alles ist leicht erreichbar, die Wege sind überschaubar.
Es ist und bleibt ein Krankenhaus, mit allen Themen, die ein Krankenhaus begleiten. Längst nicht alles ist perfekt, es gibt immer Luft nach oben. Aber das gesamte Konzept ist wichtig und gut. Ohne die vielen Menschen, die dort mit Herz arbeiten, von der Reinigungskraft über die Schwestern, Pfleger und Therapeuten, bis zu den Ärzten, wäre das alles nichts. Das zu großen Teilen selbstgemachte Essen trägt ebenfalls einen wichtigen Teil zur Heilung bei.
Die gezielten Therapien ermöglichten mir nach knapp 4 Wochen im Bergmannstrost das Aufstehen. 65 Tage nach dem Unfall das erste Mal wieder auf einem wackeligen Bein stehen.
4 Tage später die ersten Schritte mit einem Gehwagen.
Vorsichtig taperte ich durch die Klinik, mit gerade mal 20kg Belastung auf dem rechten Bein. Die Kraft reichte noch nicht weit, vorerst blieb der Rollstuhl mein Fortbewegungsmittel. Aber immerhin konnte ich die Beine als Antrieb nutzen, um die Muskeln zu reaktivieren.
Dann kam der Tag, an dem ich das halbe Körpergewicht auf das rechte Bein geben durfte. „Richtig“ stehen, auf beiden Beinen!
Der Gehwagen wurde zumindest vormittags mein Transportmittel, immer so lange die Kraft in Armen und Beinen reichte.
99 Tage nach dem Unfall endlich Vollbelastung beider Beine, das erste Mal ohne Hilfsmittel gehen. Unbeschreiblich!
Es schmerzt noch in den Beinen und Gelenken, weil sie so lange nicht genutzt wurden, aber es wird jeden Tag ein bisschen besser.
Ich fragte, warum der rechte Fuß leicht nach außen gedreht war. Eine Therapeutin aus der Krankengymnastik erklärte es mir. Es war eine Schonhaltung, um das schmerzhafte Abrollen des Fußes zu vermeiden. Durch diesen Hinweis konnte ich gegensteuern und die Schonhaltung vermeiden.
Viele solcher Hinweise bekam ich, wenn mir etwas ungewöhnlich vorkam. Mit den Erklärungen konnte ich dann in den anderen Abteilungen um eine gezielte Behandlung bitten, das Training anpassen lassen, oder eben selber drauf achten. Alles ging im Bergmannstrost Hand in Hand.
In den letzten Wochen habe ich gelernt, die kleinen Erfolge zu sehen und zu schätzen. Auch wenn ich insgesamt viel Glück hatte, braucht der Körper mit so vielen Baustellen seine Zeit für die Regeneration. Vieles bedingt sich Gegenseitig. Mit der gebrochenen Hand auf der einen, und dem gebrochenen Schulterblatt auf der anderen Seite, war es nicht so einfach die richtigen Gehstützen zu finden. Schnell war die Kraft erschöpft, und der Schmerz machte die Übung zur Qual. So blieb nur der Weg über den Gehwagen, der auch zum Erfolg führte.
Jetzt heißt es noch die zurückgebildeten und verkürzten Muskeln und Sehnen wieder fit zu machen. Hier ist viel Geduld und Wiederholung notwendig. An manchen Tagen ist der Schmerz sehr präsent, aber das gehört wohl dazu. Jeden Tag die Grenze finden und nach Möglichkeit verschieben ist das Ziel. Nur so kann ich jeden Tag etwas weiter gehen, mit weniger Schmerzen, bis ich endlich wieder ein „normales“ Leben führen kann.
Will ich weiter Motorrad fahren? JA!!!
Dieser Unfall war unvermeidbar. Und deshalb habe ich mir nichts vorzuwerfen. Ich werde weiterhin die Saison mit Fahrsicherheitstraining bzw. Kurventraining beginnen, und dieses Hobby weiterhin lieben und leben.
Denn ich bin nun einer von den Anderen, und weiß wovon ich rede!